Der Fluch

Liegt ein Fluch auf Neuschwanstein? Nicht nur der königliche Bauherr erlebte in seinem „Märchenschloss“ bittere Stunden, als er dort in der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1886 für regierungsunfähig erklärt wurde. Von Anfang an erschütterten rätselhafte Unglücksfälle den Bau der „Neuen Burg von Hohenschwangau“. Im Vorwort zur arte-Dokumentation „Wilde Schlösser: Neuschwanstein“ ist von 39 toten Bauarbeitern die Rede.  Ob dies der Wahrheit entspricht und welche Schicksale die Mauern des Schlosses nach Ludwigs Tod erschütterten erfahrt Ihr in der kleinen Reihe „Der Fluch“.

 


Teil 1 - Das erste Todesopfer   1875

"Am 23. April heute früh 6 Uhr hat sich der Bauführer am kgl. Burgbau zu Hohenschw. Herr Herold durch einen Schuß ins Herz das Leben genommen. Derselbe litt an Geisteszerrüttung und liegt in Waltenhofen begraben.

 

So heißt es in der Chronik des Dorflehrers Alois Left. Diese kleine Notiz hat mich auf die Idee zu „Ins Herz - Neuschwanstein Thriller“ gebracht. Während es zu allen weiteren Unglücken ausführliche Beschreibungen gibt, hält man sich hier sehr bedeckt. Etwa aus Pietätsgründen?

Wird ein Selbstmörder am königlichen Burgbau lieber totgeschwiegen?

Oder steckt mehr dahinter?

Schließlich war Heinrich Herold nicht irgendwer, sondern Bauführer an einer Baustelle des Königs. Sogar im Schwangauer Sterbe-Register ist bei Herold Todesursache von „angeblicher Unzurechnungsfähigkeit“ zu lesen.
Man hat seinen Leichnam im Förster-Thoma Haus in Hohenschwangau aufgefunden. Heinrich Herold wurde auf dem evangelischen Teil des Schwangauer Friedhofs begraben. 

Auszug aus dem Sterberegister der Pfarrgemeinde Waltenhofen zum Tod von Heinrich Herold.

Schützenscheibe vom 22. Juli 1874 aus Hohenschwangau:

Ein erster Hinweis auf Heinrich Herold bei
meinen Recherchen zum Roman

Im Bericht zur Grundsteinlegung zur Neuen Burg von Hohenschwangau am 5. September 1869 wird ein Bauführer Heinrich Herold als einer der Anwesenden erwähnt:

"Im Monat Mai 1869 begann der -bau mit Herstellung von Unterbauten und 5. September desselben Jahres morgens 9 Uhr erfolgt die Grunsteinlegung, ziemlich ohne Feierlichkeit, nur im Beisein des kgl. Hofbaurates Riedel, als Architekten des Schlosses, des Herrn Quartiermeisters Büttner, als Vertreter des kgl. Hofsekretärs Herrn Düfflipp, und des Bauführers Herold nebst einiger weniger Arbeitsleute. 

Der weiße Grundstein aus den Marmorbrüchen des Untersberg eingesetzt in der Baulinie der Pöllatseite, zirka 8 Fuß von der südlichen Schlossecke entfernt und auf einem ungefähr 10 Fuß aufgeführten Unterbau, enthält: 

1.) den Bauplan auf Pergament,

2.) das 3-fach Bildnis Sr. Majestät des Königs, davon eines auf Porzellan, Se. Majestät in Feldmarschalluniform darstellend, 

3.) je ein Stück sämtlicher Silbermünzen (nebst einem Goldstück) welche unter der Regierung Sr. Majestät geprägt wurden, und zwar von 3 ½ fl.-Stück bis hin zur kleinsten Scheidemünze."

 

Auszug Albrecht Chronik


Teil 2 - Der Bau fordert weitere Opfer

3 Jahre nach Herolds Tod verunglückt ein Zimmermann auf der Baustelle ...

 

Das Füssener Blatt berichtet am 9. Mai 1878:

 

"Am 6. Mai ereignete sich am königlichen Burgbau in Hohenschwangau ein schwerer Unglücksfall. Der ledige, 30 Jahre alte Zimmermann Franz Straubinger von Schwangau stürzte von einem Gerüste zwei Stockwerke in die Tiefe und zwar so, dass er beim ersten Stockwerk  auf einen Balken mit der Brust, und dann ein Stockwerk tiefer mit dem Kopf auf einen Stein aufschlug, der von ihm beim Aufziehen durch Brechen des Seiles in die Tiefe gestürzt war, wobei der Unglückliche einen Bruch des Schädelknochens erlitt, worauf bald der Tod eintraf."

 

 

Kurze Zeit später folgte ein weiteres Todesopfer ...

 

Am 26. Februar 1880 steht im Füssener Blatt:

 

"Die Dachstuhlaufrichtung am königlichen Burgbau zu Hohenschwangau, die in einigen Tagen bewerkstelligt sein wird, hat leider noch ein Menschenleben gekostet. Gestern verunglückte daselbst einer der Zimmerleute, welche in München an der Herstellung des Dachstuhles geschäfftigt und zur Aufstellung desselben hierher gekommen waren, Moritz Mayr, derselbe ist nämlich bei der Wendung eines Balkens ausgeglitten und von der furchtbaren Höhe heruntergestürzt."

 

Das Foto zeigt den alten Bauhof sowie Teile des Zimmermannsplatzes auf dem der Dachstuhl aufgerichtet wurde.


Teil 3 - Drama am Steinbruch

Der Steinbruch "Alter Schorfen" 

 

Im Jahre der Grundsteinlegung (5. September 1869) waren am Schlossbau und im Steinbruch "Alterschrofen" etwa 300 Arbeiter beschäftigt. Während rund um das vom König auserkorene Felsplateau bereits seit Mitte 1868 eine Fahrstrasse angelegt, die Wasserversorgung eingerichtet, und umfangreiche Sprengungen durchgeführt wurden, befanden sich die Steinbrüche auf dem Gebiet des Schwanseeparks zwischen Füssen und Hohenschwangau. Am Steinbruch "Alter Schrofen" wurde ein grauer Marmor für die Fassadenverkleidung gewonnen.

 

Ein Steinhauer verdiente damals 2 Gulden am Tag, ein Handlanger 1 Gulden und 3 Kronen.

Zum Vergleich: 1 Maß Bier kostete 7 Kronen, ein Pfund Butter 24 Kronen (100 Kronen = 1 Gulden).

 1870 und 1871 waren als Folge des deutsch-französischen Krieges am Schlossbau nur noch an die 100 Arbeiter beschäftigt. Ab 1874 stieg die Zahl der Arbeiter aufgrund der aufwändigen Baumaßnahmen am Hauptgebäude (Palas) wieder an. 1880 wurden wegen Streitigkeiten zwischen dem Auftraggeber und den Verantwortlichen vor Ort der Bau für 6 Monate eingestellt und alle 200 Arbeiter entlassen. Ein wirtschaftlicher Schock für die einheimische Bevölkerung. 

3 Jahre später ereignete sich ein folgenschwerer Unfall am Steinbruch ...

 

Dorflehrer Alois Left berichtet: 

"Am 23. Juni 1883 verunglückte im Steinbruch zu Alterschrofen abends halb 5 Uhr 2 Arbeiter. Durch die anhaltende nasse Witterung hatte sich eine etwas zerklüftete obere Steinschicht vollends gelöst. Durch einen zuerst abfallenden Stein wurde einer der unter dieser Schicht Arbeitenden aufmerksam gemacht; bald darauf vermerkte er die ganze Bewegung und konnte nur dem anderen noch den Zuruf zur Flucht machen. Von den Flüchtenden wurden aber 2 von den herunterschwirrenden Steintrümmern getroffen, wo der eine, Christian Wöhrle von Aschau (Tirol), Vater von 4 Kindern getötet, und der andere, der 18 Jahre alte Max Schärfl von Schwangau, nicht unerheblich verletzt wurde." 

 

 

... Nur wenige Überreste der Infrastruktur sind heute noch zu finden

 

Die Steinbrüche im Schwanseepark waren noch bis nach dem 2. Weltkrieg in Betrieb. Auch in der Nähe von Schloss Hohenschwangau wurde lange farbiger Marmor abgebaut. Leider sind nur noch wenige Überreste der Infrastruktur zu finden. Auf dem Foto sieht man die alte Steinbrücke, die einen Bach auf dem direkten Weg vom "Alter Schorfen" nach Hohenschwangau überspannt. Neben dem Schwangauer Marmor, verwendete man auch Marmor vom Kalvarienberg bei Füssen, aus Vils in Tirol,  Untersberger Marmor, sowie Bayreuther Sandstein zum Bau der "Neuen Burg von Hohenschwangau".

 

Ein kleines Marterl ... 
am Zugang zum Gelände erinnert an die Verunglückten vom 23. Juni 1883.


Teil 4 - Geraubte Kunst

Foto copyright by Rescuing da Vinci, Robert M. Edsel
Foto copyright by Rescuing da Vinci, Robert M. Edsel

Aus Neuschwanstein wird ein Hort ...

 

... für geraubte Kunst. Ab 1943 werden keine Besucher mehr in das Schloss gelassen. Die Rauborganisation Einsatzstab Reichsleiter Alfred Rosenberg beginnt gestohlene Kunst in den Räumen des Palas von Neuschwanstein einzulagern. In der Kemenate entsteht ein Archiv zur Dokumentation von jedem durch die Rauborganisation in Frankreich konfiszierten Objekt. Das Foto zeigt zwei unbekannte Männer der US-Armee nach der Befreiung von Neuschwanstein in einem der ehemaligen Dienerschaftsräumen im 1. Stock des Palas.

Foto copyright by Rescuing da Vinci, Robert M. Edsel
Foto copyright by Rescuing da Vinci, Robert M. Edsel

Auch zum Schutz der Kroninsignien ...

 

... denn mit der zunehmenden Bombardierung der Hauptstadt lagert man die heimischen Kunstschätze aus. Neuschwanstein scheint hierfür bestens geeignet, da es sich weit abgelegen von allen strategisch wichtigen Zielen befindet. Nicht nur das Inventar aus der Schatzkammer der Residenz München, angeblich auch ein großer Teil der Goldreserven der Reichsbank werden im Schloss versteckt.

 

Foto copyright by The Monuments Men, Robert M. Edsel
Foto copyright by The Monuments Men, Robert M. Edsel

Anfang Mai 1945 ...

 

... wird das Schloss fast ohne Widerstand durch die US-Armee eingenommen. Bis zur Sanierung des Innenhofes in den späten 1990er Jahren, zeugen noch zwei Einschusslöcher in der Freitreppe zum Torbau von dem kurzen Schusswechsel damals.
Lieutenant James J. Rorimer berichtet: "Die großen eisenbeschlagenen Türen wurden von zwei Kanonen bewacht, die auf gepanzerten Fahrzeugen montiert waren. Ansonsten waren die Deutschen geflohen (...) mit dem langjährigen Schlossverwalter als Führer betrat ich das Schloss."

Foto copyright by Rescuing da Vinci, Robert M. Edsel
Foto copyright by Rescuing da Vinci, Robert M. Edsel

" Zimmer um bizarres Zimmer ...

 

... ging es im Schloss hinauf (...) und in jedem sah Rorimer Schachteln und Kisten, Regale und Plattformen, die alle das Erbe Frankreichs beinhalteten. Hinter einer doppelt verschlossenen Stahltüre, war die weltberühmte Rothschild Juwelensammlung versteckt."

Die Wohnräume des Königs, Thron- und Sängersaal waren teilweise bis zu den Zimmerdecken mit Kisten gefüllt. In der Kemenate entdeckten die GIs noch Reste von verbrannten Wehrmachtsuniformen und einen Katalog mit sämtlichen gestohlenen Kunstobjekten der Rauborganisation und, besonders wichtig, deren Lagerstätten. Insgesamt wurden 21.903 Objekte in Frankreich geraubt und konnten dank der Entdeckungen der "Monuments Men" in Neuschwanstein großenteils lokalisiert werden.

Es dauerte über sechs Wochen, bis alle Kunstschätze aus dem Schloss abtransportiert waren. Von den Goldbarren der Reichsbank fehlte jede Spur...